Thomas Schweisthal: "Wenn du nimmst, was du kriegst"
Poems & Stories, G. Meyer's Taschenbuch Verlag,
1999, 92 Seiten, ISBN 3-934193-06-4 / EUR 7,67
NA DENN GUTE NACHT
Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Ich wälzte
mich aus einer bequemen, in eine unbequeme Lage. "Ich träum ja nur, ich
träum ja nur von Kuhglocken, Kirchturmuhren und dem tattergreisigen
Triangelmann, der seinen letzten Einsatz in der Dreigroschenoper hat",
murmelte ich vor mich hin, "so sieht es in meinen Träumen aus, fett und
vollkommen irre", fügte ich hinzu. Das Klingeln wurde schärfer. Ich griff
mir an den Kopf. Ich kämpfte mit Goliath. Goliath war der Polizist, der mir
in den letzten Wochen schon den dritten Strafzettel ausgestellt hatte. Aber
es war mein Kopf, den ich da in der Mangel hatte. Die halbe Flasche Whiskey
hatte sich nach oben gearbeitet und führte in meiner Dachstube einen
scheußlichen Belagerungstanz auf. "Ich rühre nie wieder einen Tropfen an",
hörte ich meine Reibeisenstimme knarzen. Es klingelte beharrlich weiter.
Ring, Ring, Ring, Ring, Ring ... "Wer um alles in der Welt,
versucht das Leben eines Groschenromanreporters noch saurer zu machen, als
es sowieso schon ist", stöhne ich und versuchte einen Zweitonnenleib,
meinen, über die Ladekante zu hieven. Ring, Ring ... Schadenfroh
grinste mich der Mond mit seinem Mondgesicht an. Er erinnerte mich an die
Fresse meines Vaters, wenn er früher, um sechs Uhr morgens in mein Zimmer
gekommen war und die Rollos aufgerissen hatte und dabei soviel Krach wie
möglich machte. "Ich komme ja schon, du Ausgeburt des Teufels", wimmerte ich
und schüttelte meine schwachen Ärmchen. Ich schwankte auf das Ringen zu.
Dann hatte ich auf einmal den Wasserhahn in der Hand. "Nee, das isses nich
..." Dann betätigte ich noch die Klospülung, aber es war klar, daß es das
"auch nich" war. Endlich hatte ich den Hörer in der zittrigen Hand.
"Jaaaahhhh?" "Gurke? Bist du's?" "Jahhh, zum Teufel, wer denn sonst,
schrei nicht so, glaubst du, ich hab Tomaten auf den Ohren?" Es war
Castor, der Zwillingsbruder von Pollux. "Was willst du, du Ekelpaket,
weißt du nicht, wie spät es ist?" "Gurke, es is' soweit, ich bring mich
um. Ich lösch mir das Lebenslicht aus." "Na, das is ja nix Neues, das
kommt bei dir ja alle paar Wochen vor. Womit machst du's diesmal, mit Strom?
Spielst du wieder mit Gertis Häkelnadeln herum?" "Nee, jetzt is es mir
wirklich ernst. Ich hab hier die Schrotflinte von meinem Opa im
Mund." "Was für'n Scheiß, ich kenne niemanden, der mit 'ner Schrotflinte
im Mund so klare Sätze artikulieren könnte. Noch dazu, um die
Uhrzeit." "Gurke, mach dich nicht über mich lustig. Ich tu's wirklich.
Hier und jetzt." "Ja, und was willst du dann von mir? Soll ich dir
Händchen halten?" "Nee, das geht doch gar nicht, durch den Hörer, meine
ich." "Also, was hast du dann auf dem Herzen?" "Ich wollte nur noch
mal deine Stimme hören, bevor ich meine endgültig letzte Reise antrete. Wir
standen uns doch immer so nahe." "Das darf doch wohl nicht wahr sein.
Kannst du dich nicht nach dem Frühstück oder besser noch, nach dem
Mittagessen umbringen? Hast du gar keinen Respekt vor den Bedürfnissen
anderer?" "Gurke, tut mir wirklich leid, aber man kann sich seine
Sterbestunde nicht immer aussuchen. Gestern Nachmittag zum Beispiel, wußte
ich noch nicht, daß ich's tun würde. Ich hab mit Gerti Fotos angeguckt. Und
dann is Gerti gegangen und nicht wiedergekommen, und auf einmal hab ich's
gewußt. Gerti würde nicht wiederkommen, niemals, und dann bin ich los und
habe mir bei meinem Opa die Schrotflinte besorgt, is gerade auf
Teneriffa." "Mensch Castor, Gerti ist immer wiedergekommen. Warum drehst
du nicht einfach den Spieß um? Du gehst, und kommst erst zurück, wenn Gerti
sich die Augen nach dir ausheult." "Ich gehe ja, und das für immer. Gerti
wird ihres Lebens nie wieder froh werden." "Das glaube ich weniger. Da
kennst du die Frauen schlecht. Und ganz besonders Gerti." "Ja, das isses.
Ich habe keine Ahnung. Ich bin ein Versager, auf der ganzen
Linie." "Nein, das bist du nicht. Du bist zwar manchmal ein bißchen blöd,
aber insgesamt halte ich dich für einen durchschnittlichen Vertreter unseres
leidgeprüften Geschlechts." "Meinst du wirklich?" "Na klar!" Gut,
daß Castor mein Gesicht nicht sehen konnte. Mit den Augen konnte ich bei
weitem nicht so gut lügen, wie mit meiner John Wayne-Stimme. "Also, jetzt
leg das Ding weg, trink' noch 'n guten Schluck und hau dich endlich auf's
Ohr. Ich will einen meiner gräßlichsten Kater in ein dunkles Tiefschlafloch
versenken. Kapito?" "Ja, Gurke, du hast wohl recht. Gerti wird bestimmt
morgen wieder hier aufkreuzen. Du bist ein wahrer Freund, du hast mir das
Leben gerettet. Du hast meine Ehe gerettet. Ich leg dann jetzt auf. Ich
fühle mich wie neu geboren." "Du machst keinen Scheiß mehr,
oder?" "Nee, Gurke, wirklich nich." "Also gut dann, Tschüss, bis
demnächst." "Tschüss, Gurke." "So ein blöder Hund", murmelte ich vor
mich hin, griff mir die Whiskeyflasche und schüttelte die letzten Tropfen
raus. Dann torkelte ich ins Bett zurück und nahm meine bequeme Lage wieder
ein. Die, an Gertis warmen Arsch. Gerti schnarchte Whiskeyselig vor sich
hin. Castor war doch wirklich ein zu blöder Hund.
WENN DU NIMMST, WAS DU KRIEGST
Poems & Storys von Thomas Schweisthal
ISBN 3-934193-06-4 - 92 Seiten - EUR 7,67
G. Meyer's Taschenbuch Verlag
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